Sustainable Innovations
Chiengora instead of Angora
Yarnsustain von Ann Cathrin Schönrock & Franziska Uhl
Oft werden Möglichkeiten für ethische und nachhaltige Lösungen nicht genutzt, obwohl sie eigentlich auf der Hand liegen. Fashion- und Knitwear-Designerin Ann Cathrin Schönrock und Textilingenieurin Franziska Uhl haben auf dem Markt für Garne vergeblich nach nachhaltigen und gleichzeitig hochwertigen Optionen gesucht und sind deshalb selbst kreativ geworden: Sie gründeten das Unternehmen Yarnsustain, um mit Garnen und Stoffen aus Hundehaar die Mode- und Textilbranche zu revolutionieren.
Schon 2017 hat Ann Cathrin Schönrock, die selbst Hundebesitzerin ist, angefangen, mit der Wolle ihres Hundes zu arbeiten – denn warum sollte dieses eigentlich als Abfall angesehene Material nicht auch für Kleidung oder zum Füllen von Heimtextilien genutzt werden? Gemeinsam mit ihrer Mitgründerin Franziska Uhl entwickelte sie das hochwertige Chiengora®, ein Garn, das aus der Unterwolle langhaariger Hunde besteht. Gefördert von der deutschen Regierung konnte die Organisation alleine in diesem Jahr mehr als zwei Tonnen Unterwolle sammeln und zu Garn verarbeiten.
Hinter dem Unternehmen stehen die NGO Saving Lost Resources e.V., Yarnsustain und das Markenunternehmen modus intarsia. In diesem Dreiklang leisten die Gründerinnen einen Beitrag zum Tierschutz, produzieren hochwertige Garne und verkaufen Kleidungsstücke aus Hundehaar – um so die Akzeptanz von Konsument:innen weiter zu fördern und Kleidungsstücke aus Hundehaar auf dem Markt zu etablieren.
Key Conversations: Über das Potenzial recycelter Materialien
Wir haben Sarmite Polakova zum ersten Mal 2018 getroffen, als die lettische Designerin ihre Entwicklung „PineSkins“ im KEYHOUSE der MUNICH FABRIC START präsentierte. Als Teil des Forums für nachhaltige Innovationen präsentierte Sie ihre Kollektion aus Kiefernrinden. Ihre Produkte mit der ungewöhnlichen Ästhetik brachen schon damals mit den Stereotypen traditioneller Rindenprodukte. Sarmite untersucht weiterhin unkonventionelle Ansätze zur Entwicklung von textilen Materialien und Produktlösungen. Ihre Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Umwandlung unscheinbarer, natürlicher Materialien in Materialien mit einem neuen Zweck. So fokussiert sie die neueste Arbeit von Studio Sarmite auf die Entwicklung hochwertiger Systeme für Textilrecycling.
Unser Kurator für Sustainable Innovations Simon Angel hat mit Sarmite Polakova über ihr neustes Projekt gesprochen. Sehen Sie sich das Videointerview im Zuge der „Key Conversations“ am Ende des Interviews an.
Sarmite, wie hat sich dein Projekt PineSkins entwickelt seit du 2018 in unserem KEYHOUSE ausgestellt hast?
Ich habe so gute Erinnerungen an das KEYHOUSE 2018! Ich habe damals so viel Interesse, zahlreiche Anfragen und gutes Feedback zu PineSkins erhalten. Es hat mir wirklich geholfen, mein Netzwerk zu erweitern, Kooperationen zu starten und das zukünftige Potenzial eines Materials wie PineSkins in unserer Branche zu verstehen. Meine Arbeit daran führte mich auch dazu, weitere Untersuchungen zur Nutzung von Nebenprodukten aus der Holzindustrie zu entwickeln. Wie zum Beispiel die glasartige Komposition namens Pine Resin, die ich zu einer Vasenkollektion entwickelt habe. Mein Ziel war es, das Design zum Hauptträger der Erzählung werden zu lassen, die Grenzen dessen zu verschieben, was wir bei der Nutzung vorhandener natürlicher Ressourcen für möglich halten.
Natürlich sind wir auch am Beratungsprozess sehr interessiert – wie entwickelst du neue Projekte gemeinsam mit deinen Kunden?
Typischerweise beinhaltet eine Kooperation zu Beginn eine Beratung, um die richtigen Methoden zu finden, Prozesse zu optimieren und neue nachhaltige Materialien zu kreieren. Vor allem in den letzten Jahren habe ich mein Wissen und meine Erfahrung mit nachhaltigen Materialien, Produktionsmethoden und Geschäftspraktiken erweitert. Ich möchte mein Wissen teilen und suche daher nach Möglichkeiten, anderen Unternehmen bei der Umsetzung von Modellen und Praktiken der Kreislaufwirtschaft zu helfen. Dies ist die nächste Phase meiner Entwicklung als Materialentwicklerin und ich bin bereits in mehrere Kooperationen involviert. Auf diese Weise freue ich mich, mein Wissen zu teilen und zu sehen, wie sich dies in Zukunft weiterentwickeln wird!
Erzähl uns doch ein wenig von dem Projekt, an dem du derzeit mit Studio Sarmite arbeitest?
2020 habe ich mich mit meiner guten Freundin, der Designerin Mara Maizele, zusammengetan, da wir gemeinsam etwas gegen die riesige Menge an Textilabfällen tun wollen. Als wir das aktuelle Textilrecyclingsystem geprüft haben, konnten wir feststellen, dass es vor allem an hochwertigen Materialien aus recycelten Textilien mangelt. Post-Consumer-Textilfasern gelten, sofern sie nicht komplett neu versponnen werden, als minderwertiges Funktionsmaterial, das typischerweise für Polster, Füllungen und Isolierungen benutzt wird. Wir wollten diesen Status quo in Frage stellen und uns stattdessen auf die Qualitäten des Materials konzentrieren. Zum Beispiel könnte die Isolierfähigkeit ein erstaunliches Merkmal für Kleidungsstücke und Accessoires sein.
Durch Forschung und Experimente kombinierten wir Techniken aus der traditionellen Textilherstellung mit natürlichen Bindemitteln und kamen so nach vielen Versuchen zu einem marmorierten Biotextil, das wir heute „Pre-Loved Wool“ nennen. Das resultierende Material besitzt ein glattes, lederartiges Gefühl und kann in verschiedenen Stärken, Farb- und Musterkombinationen hergestellt werden. Es ist wasserabweisend, lässt sich nähen, kleben, falten und hat das Potenzial, als spannende Lederalternative für Kleidung und Accessoires genutzt zu werden.
Welchen Herausforderungen musstest du dich bei der Entwicklung dieses neuen Projekts stellen?
Während des Prozesses haben wir erfahren, dass die derzeitige Post-Consumer-Textilfaserindustrie sozusagen ziemlich geschlossen ist. Es richtet sich hauptsächlich an sehr große Unternehmen, die große Mengen an Fasern verkaufen, und dies oft nur in wenigen separaten Fasern pro Farbe. Es erforderte viel Recherche und Networking, um Unternehmen zu finden, die bereit waren, unser Projekt durch kleinere Mengen zu unterstützen – ein großes Danke geht hier an Inretex in Spanien, Altex in Deutschland und Eco Baltia in Lettland!
Es wurde auch klar, dass das derzeitige Textilrecyclingsystem mit den derzeitigen Recyclingpraktiken mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Billige Kleidung besteht oft aus Mischfasern – Baumwolle, Polyester, Elasthan, die in einem einzigen Faden vermischt sind. Solche Fasern zu trennen ist bereits schwierig und kann nur chemisch erfolgen. Textilrecyclingzentren hingegen können Altkleider oft nur bis auf eine Faser downcyclen und erzeugen dadurch einen noch größeren Fasermix, an dem es keinen Rückweg in Bezug auf die Fasertrennung gibt. So haben wir erkannt, dass wir die Faser einfach so akzeptieren sollten, wie sie ist – ein neuartiges Textil, das die Summe aller Einzelfasern ist. Es geht nicht mehr um die Exklusivität von Fasern, sondern um Inklusivität. Zusammen bilden sie eine neue Identität mit neuer Ästhetik und Nuancen.
Natürlich sind wir auch am Beratungsprozess sehr interessiert – wie entwickelst du neue Projekte gemeinsam mit deinen Kunden?
Typischerweise beinhaltet eine Kooperation zu Beginn eine Beratung, um die richtigen Methoden zu finden, Prozesse zu optimieren und neue nachhaltige Materialien zu kreieren. Vor allem in den letzten Jahren habe ich mein Wissen und meine Erfahrung mit nachhaltigen Materialien, Produktionsmethoden und Geschäftspraktiken erweitert. Ich möchte mein Wissen teilen und suche daher nach Möglichkeiten, anderen Unternehmen bei der Umsetzung von Modellen und Praktiken der Kreislaufwirtschaft zu helfen. Dies ist die nächste Phase meiner Entwicklung als Materialentwicklerin und ich bin bereits in mehrere Kooperationen involviert. Auf diese Weise freue ich mich, mein Wissen zu teilen und zu sehen, wie sich dies in Zukunft weiterentwickeln wird!
Eine letzte Frage noch: Mit wem möchtest du noch unbedingt zusammenarbeiten und warum?
Ein Unternehmen, das sich stark mit der eigenen Material- und Produktproduktion beschäftigt und das Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt. Viele fallen mir ein, aber definitiv etablierte Marken wie Adidas, Ikea und sogar Modemarken wie Max Mara oder Balenciaga. Ich würde gerne mit einer Modemarke zusammenarbeiten, die ihren Textilabfall in ein neues Pre-Loved-Produkt verwandeln möchte. Ich kann mir schon die einzigartigen Muster und Farbkombinationen vorstellen. Stellen Sie sich Pre-Loved-Chanel vor, wie großartig wäre das?
Wir danken Sarmite für ihre Einblicke und die Teilnahme an unserem Gespräch im Rahmen der Key Conversations mit unserem Kurator für Sustainable Innovations, Simon Angel. Wenn Sie sich für die hier genannten Projekte oder Prozesse von Sarmite Polakova interessieren, können Sie sie gerne hier kontaktieren: sarmite.polakova@gmail.com
Lassen Sie uns im Gespräch bleiben! Ist aus diesem Projekt eine Idee entstanden oder haben Sie Fragen? Wir freuen uns von Ihnen zu hören, senden Sie uns gerne eine E-Mail an info@munichfabricstart.com
Key Conversations mit Chandra Prakash: Experte & Berater zu nachhaltiger Produktion
Wenn man Chandra Prakash zum ersten Mal trifft und ihn fragt: „Was machen Sie?“, antwortet er ziemlich sicher „Nachhaltigkeitsberater“. Nach einem kurzen Gespräch mit ihm wird einem aber schon ganz klar, dass noch viel mehr dahintersteckt. Wenn er von seiner Erfahrung als Bio-Landwirt zur Erforschung und Entwicklung nachhaltiger landwirtschaftlicher Methoden, von der Herstellung von Naturfasern an der indisch-nepalischen Grenze oder von dem Zertifizierungsprozess von Naturfasern mittels Blockchain-Technologie erzählt, steht fest, dass „Nachhaltigkeitsberater“ nicht ganz den vollen Umfang, die Reichweite und die Weitläufigkeit seiner Arbeit auf den Punkt bringt. Daher versuchen wir mit diesem Interview tiefe Einblicke in seine neuesten Projekte, spannenden Herausforderungen und seine Leidenschaft für echte Nachhaltigkeit zu erhalten.
Kannst Du uns etwas über Deine Arbeit als Nachhaltigkeits-Fashionexperte erzählen?
Ich beschäftige mich intensiv mit nachhaltiger Mode und habe aus vielen Perspektiven wahnsinnig wertvolle Einblicke in die Lieferkette gewonnen; als Bio-Bauer, Textildesigner, Modedesigner und als Unternehmer, der als Inhaber und Gründer von Cocccon auf die Herstellung von gewaltfreier Seidenmode spezialisiert ist. Die Erstellung und Kenntnis von kurz- und langfristigen Nachhaltigkeits-Roadmaps sind meine Stärke als Nachhaltigkeitsberater.
Du forschst derzeit an anderen nachhaltigen Fasern und Produktionsmethoden – worauf fokussierst Du dich momentan genau?
Meine Forschung beschäftigt sich mit Naturfasern, insbesondere wie sie mit möglichst wenig Wasser und ohne Chemie angebaut werden können. Mein aktuelles Projekt zielt darauf ab, die nachhaltigste und luxuriöseste Leinen-, Kenaf- und Sisalfaserproduktion an der indisch-nepalischen Grenze aufzubauen.
Im Zuge der Videoserie Key Conversations hast Du mit Simon Angel gesprochen und Deine neueste Technologie zur Unterstützung des Zertifizierungsprozesses für Stoffe vorgestellt. Kannst Du uns mehr erzählen?
Die Herausforderungen, denen sich Zertifizierungsstellen gegenübersehen, wurden durch COVID-19 weiter verkompliziert. Die meisten Baumwollfelder liegen auf abgelegenem oder ländlichem Gelände, was bedeutet, dass es nicht möglich ist, das gesamte Land zu überwachen oder zu kontrollieren. Die Datenerhebung und -eingabe erfolgt weiterhin auf Vertrauensbasis, ohne Methoden zur gegenseitigen Überprüfung. Im derzeitigen System ist es nicht möglich, die Materialien in den Vorfaserstufen zu authentifizieren, wie z. B. die landwirtschaftlichen Prozesse zum Anbau von Fasern wie Baumwolle, Leinen usw. Der Mangel an physischen Besuchen aufgrund von COVID-19 hat zu einem Anstieg von Greenwashing geführt.
Die Technologie, die ich derzeit entwickle, kann sicherstellen, dass Auditing einfach, sicher und viel zuverlässiger wird. Auch in der Landwirtschaft können Daten erhoben werden. Um die Authentifizierung zu gewährleisten, wird die Überwachung in drei verschiedenen Phasen durchgeführt. Zusammen wird der Einsatz von KI-Technologie, Blockchain-Technologie und einem intelligenten physischen Auditing-System den Zertifizierungsprozess eines Bio-Produkts sicher machen.
Sehen Sie sich hier die Key Conversation zwischen Chandra Prakash und Simon Angel an.
Kannst Du uns von der größten Herausforderung bei der Entwicklung dieses neuen digitalen Systems erzählen?
Dies ist ein sehr ehrgeiziges Projekt. Die Rückverfolgbarkeit auf der Rohstoffstufe ist momentan so gut wie unmöglich. Ich nehme es als Herausforderung und versuche alles, es zu realisieren. Es ist immer eine Challenge, verschiedene Arten und Ebenen von Technologie zu verbinden. Sagen wir einfach, wir arbeiten daran! Wir werden mit Partnern aus der Modebranche zusammenarbeiten müssen, darunter Rohstoff- und Blockchain-Experten sowie wichtige Investoren. Zur Verstärkung suchen wir aktuell einen CFO.
Wie wichtig ist es für Marken, ihren Kunden Transparenz und Rückverfolgbarkeit zu bieten – durch die Einführung der Blockchain-Technologie?
Die Zahl der Menschen, die bereit sind, authentisch nachhaltige Mode oder Accessoires zu kaufen, ist drastisch gestiegen. Die jungen Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder, die weltweit bei Fridays for Future und Klimastreiks protestieren, sind unsere zukünftigen Kunden. Sie wollen wissen, wer die Kleidung herstellt, die sie tragen. Sie wollen wissen, ob alle in der Lieferkette gut behandelt wurden. Sie wollen wissen, ob ihr Bio-T-Shirt wirklich ein Bio-T-Shirt ist. Rückverfolgbarkeit wird bald die neue Normalität sein. Unsere KI- und maschinelle Lerntechnologie kann jedem helfen, von Marken bis hin zu Endverbrauchern. Die Verwendung von Blockchain kann sicherstellen, dass Zertifizierungen zuverlässig und authentisch sind.
Deutschland hat ein neues Lieferkettengesetz mit verstärktem Fokus auf Menschenrechte eingeführt. Kann Deine Technologie helfen, Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden?
Die aktuellen Gesetze haben nur begrenzte Möglichkeiten, soziale oder menschliche Faktoren während der Produktion von Rohstoffen zu kontrollieren. Es gibt außerdem Challenges bei der Kontrolle von Zwangs- oder Kinderarbeitern beim Baumwoll- und Flachs-Leinen-Anbau. 80% der Baumwollbauern, die in Entwicklungsländern arbeiten, stammen aus lokalen Stammesgemeinschaften und haben keine staatlich anerkannten Ausweise. Auf dem Papier existieren sie nicht, daher werden die Gesetze nicht auf sie angewendet. Unsere IoT-basierte Technologie kann Landwirten und Marken helfen, diese Herausforderungen zu überwinden. Dies macht unsere Technologie zu einer Plattform für Echtzeit-Rückverfolgbarkeit vom Bauern bis zum fertigen Kleidungsstück in den Läden.
Wir bedanken uns bei Chandra für seine Einblicke und das Gespräch im Rahmen der Key Conversation Reihe mit dem Kurator unserer Sustainable Innovations, Simon Angel. Wenn Sie sich für die Themen interessieren, die Chandra Prakash hier besprochen hat, oder wenn Sie herausfinden möchten, wie Sie seine Arbeit unterstützen können, können Sie ihn hier gerne kontaktieren: prakash@cocccon.de
Lassen Sie uns im Gespräch bleiben! Hat dieses Projekt Sie auf eine Idee gebracht oder haben Sie Fragen? Wir würden gerne von Ihnen hören, schicken Sie uns eine E-Mail an info@munichfabricstart.com
Key Conversations: Nahtlose Produktion mit Pilzmyzel
Die niederländische Designerin Aniela Hoitink verfolgt das Ziel, die Art und Weise zu verändern, wie wir Textilien verwenden. Bekannt als das lebende Material, macht sich Aniela mit MycoTEX® die organischen und lebenden Eigenschaften der kompostierbaren Pilzwurzeln zunutze. Vorgestellt in unserem Sustainable Innovations Forum 2018, ist MycoTEX® heute die bahnbrechende, automatisierte und nahtlose Herstellungsmethode, die maßgeschneiderte Produkte aus kompostierbaren Pilzwurzeln ermöglicht.
Wie es in der Natur des Lebendigen liegt, sind Veränderung und Fortschritt eine Konstante. Von den frühen Anfängen bis heute nimmt uns Aniela mit auf ihre Reise und spricht mit uns über die Entwicklung dieser nachhaltigen Innovation. Erfahren Sie, wie Aniela die Zukunft der Textilien verändern will – von der Gründung ihres eigenen Unternehmens NEFFA bis hin zur Ausweitung der Produktion von MycoTEX:
Wie hat sich Ihre Arbeit weiterentwickelt, seit Sie 2018 im Keyhouse ausgestellt haben?
Basierend auf dem Feedback, das wir von Marken und Verbrauchern erhalten haben, haben wir unsere Anbaumethode geändert und erfolgreich Materialien entwickelt, die glatt sind und eine Vielzahl von Texturen für ganz unterschiedliche Anwendungen aufweisen können. Die ersten Reaktionen von potenziellen Kunden sind sehr vielversprechend. Wir arbeiten auf die Entwicklung einer Pilotkollektion in den nächsten 12 Monaten hin. Noch spannender ist, dass wir nun unser Unternehmen NEFFA gegründet haben, unser Team erweitert haben und momentan in die erste Finanzierungsrunde für die Pilotproduktion starten.
Haben Sie in den letzten Jahren eine Veränderung in der Art und Weise beobachtet, wie Unternehmen an Kooperationen herangehen?
Das Interesse an nachhaltigen Materialien ist sehr stark angestiegen. Das Ziel ist es, herauszufinden, wie aufrichtig dieses Interesse ist. Wollen sie wirklich anfangen, mit ihren Materialien und Produkten zu arbeiten, oder füllen sie nur ihr Angebot auf?
Was ist der Unterschied zwischen MycoTEX und anderen (Mycel-)Materialien?
Die meisten Unternehmen sind daran interessiert, nachhaltige Materialien zu entwickeln, die in die konventionelle Lieferkette passen, da dies der einfachste Weg ist, etwas zu bewirken. Diese konventionelle Produktionsweise basiert auf Schneiden & Nähen und Überproduktion. Diese Art der Produktion erzeugt viel Abfall, der Wasser, Nährstoffe und CO2 benötigt. Unser ganzheitlicher Ansatz führte uns zur Entwicklung einer automatisierten, nahtlosen Herstellungsmethode für Biomaterialien. Dadurch können wir einen größeren Einfluss in Bezug auf Nachhaltigkeit ausüben, als wenn wir „nur“ nachhaltige Materialien verwenden. Da unsere Methode nicht auf Schneiden & Nähen basiert, haben wir diesen Produktionsabfall nicht. Darüber hinaus ist unsere Lieferkette viel flexibler und ermöglicht eine Personalisierung im Massenproduktionsmaßstab.
Sie sind gerade dabei, die Produktion von MycoTEX zu skalieren. Können Sie uns von den Höhen und Tiefen sowie den Herausforderungen berichten, denen Sie sich stellen müssen, um dies zu verwirklichen?
Ein Unternehmen von Grund auf zu entwickeln ist hart, aber lohnend, wenn man eine Vision hat, der man folgen kann. Für uns sind die Höhen alle Schritte, die wir in die richtige Richtung machen. Angefangen damit, die richtigen Partner zu finden, die von der ersten Folie, die man zeigt, mit der Vision übereinstimmen. Bis hin zur Verbesserung des Materials und dem Erreichen des Ergebnisses, das einem gefällt – und was noch wichtiger ist, zu sehen, dass die potenziellen Kunden diese Ergebnisse auch mögen.
Die Herausforderung besteht darin, Investoren mit ins Boot zu holen. Der kleinere ROI (Return on Investment) ist etwas, das die meisten Investoren nicht mögen. Die Suche nach den richtigen Investoren nimmt viel Zeit in Anspruch – denn wir müssen diejenigen finden, die bereit sind, sich uns anzuschließen und in der Modebranche etwas zu bewegen. Die Kunden sind inzwischen daran gewöhnt, nachhaltige Materialien zu beschaffen und kommen deshalb auf uns zu. MycoTEX bietet ein Produkt an, das mit einer nahtlosen Fertigungstechnologie hergestellt wird, die sich von dem üblichen Angebot von Stoffen pro Bogen oder Meter unterscheidet. Es ist eine Herausforderung, sie davon zu überzeugen, dass unsere Methode tatsächlich viel nachhaltiger ist und sich die Mühe lohnt, mit einer solchen Innovation zu arbeiten.
MycoTEX wurde kürzlich mit dem Solar Impulse Efficient Solution Label ausgezeichnet. Können Sie uns sagen, was dies für MycoTEX bedeutet?
Um das „Solar Impulse Efficient Solution“-Label zu erhalten, wurde MycoTEX von einem Pool unabhängiger Experten nach 5 Kriterien, die die drei Hauptthemen Machbarkeit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit abdecken, gründlich bewertet. Es ist eine externe Validierung unserer Lösung, die dabei hilft, Kunden und Investoren zu gewinnen, da dies ein Beweis für hohe Standards in Sachen Rentabilität und Nachhaltigkeit ist.
Mit welchem Unternehmen würden Sie gerne zusammenarbeiten und warum?
Wir würden gerne mit innovativen Firmen zusammenarbeiten, die darauf spezialisiert sind, die Herstellung von Produkten neu zu überdenken: Firmen wie Alexander McQueen, Martin Margiela oder Mugler. Stellen Sie sich die verschiedenen Shapes vor, die man machen kann, wenn Nähte nicht mehr nötig sind, nicht einmal eine Schulter- oder Seitennaht. Kim Kardashian wäre unser Traumtyp. Ihr kurviger Körper ist eine ziemliche Herausforderung, was das Zeichnen von Mustern angeht. Mit unserer nahtlosen Fertigungsmethode könnten wir die perfekt passende Jacke für sie kreieren.
Wir bedanken uns bei Aniela für ihre Einblicke und das Gespräch im Rahmen der Key Conversation Serie mit dem Kurator unserer Sustainable Innovations, Simon Angel. Wenn Sie an einer Zusammenarbeit mit Aniela Hoitink interessiert sind, freut sie sich, jederzeit von Ihnen zu hören! Mehr Informationen finden Sie hier: https://neffa.nl/contact/
Lassen Sie uns im Gespräch bleiben! Hat dieses Projekt Sie auf eine Idee gebracht oder haben Sie Fragen? Wir würden gerne von Ihnen hören – schicken Sie uns einfach eine E-Mail an info@munichfabricstart.com
Key Conversations: Natürliches Färben als Basis für die Zukunft
Die Farbforscherin Julia Kaleta widmet sich der Stärkung der Farbkommunikation und der Forschung natürlichen Färbens als nachhaltige Alternative für die Modebranche. Was als Projekt aus Leidenschaft begann, adressiert der „Atlas of Sustainable Colours“ jetzt ein echtes Bedürfnis der Branche, indem er umfassende Farbreferenzen und Inspirationen für das natürliche Färben bietet.
Julia Kaleta nahm sich im Rahmen unserer Key Conversations Videoserie mit Simon Angel Zeit, um uns über die Entwicklungen ihrer Arbeit, die Herausforderungen bei der Integration in Designbibliotheken sowie die Realitäten des Färbens bei nachhaltigen Modemarken und Designern auf dem Weg zu nachhaltigen Alternativen zu informieren. Erfahren Sie mehr über Julia Kaleta’s Werdegang auf ihrer Homepage www.juliakaleta.com
Kannst Du uns einen Einblick geben, wie Du arbeitest und wie sich der Atlas selbst verändert hat, seit Du ihn 2019 im Keyhouse vorgestellt hast?
Während der Munich Fabric Start habe ich viele neue Kontakte geknüpft und inspirierende Gespräche geführt, die mich dazu veranlasst haben, den nachhaltigen Färbeprozess noch mehr zu hinterfragen. Seitdem hat sich das Projekt ein wenig verändert, wobei das Hauptziel unverändert ist: Katalysator zu sein und die Debatte über nachhaltige Farbgebung in der Textilindustrie zu erleichtern. Ich arbeite derzeit an einer digitalen Plattform für den Atlas of Sustainable Colours. Es handelt sich jedoch um ein Nebenprojekt, das ich in meiner Freizeit entwickle, sodass es sich noch in der Entwicklungsphase befindet. Ich halte Kontakt zu Forschern und Designern, um über neue Möglichkeiten und Herausforderungen der Farbinnovation auf dem Laufenden zu bleiben. Kürzlich habe ich ein Stipendium beantragt, um meine Forschung weiterzuentwickeln – aber leider nicht die notwendigen Mittel erhalten, die die Produktion des Atlas of Sustainable Colours beschleunigen würden. Denn ich möchte es denjenigen über Designbibliotheken zugänglich machen, die davon profitieren würden.
Was ist der nächste Schritt in diesem Projekt?
Das Projekt an sich macht sehr neugierig. Es gibt viele Interessierte, die wissen möchten, was das Potenzial dahinter ist und gerne eine eigene Ausgabe des Atlas of Sustainable Colour erhalten möchten. Dies zeigt, dass es bei kleineren Marken und unabhängigen Designern bereits einen Bedarf für einen Leitfaden mit alternativen Farben gibt. Mein Fokus liegt jetzt auf der Produktion und der Verwirklichung meines Traums, diesen Guide zum Kauf anzubieten. In der Zwischenzeit biete ich mein Know-How als Service für nachhaltige Farbberatung an, um Marken bei denentstehenden Herausforderungen durch natürliche Färbeprozesse zu unterstützen. Obwohl es nicht der erste Guide über natürliche Farben ist, bietet der Atlas of Sustainable Colours in der Tat das erste Kompendium und einen umfassenden Leitfaden für Farben, die mit alternativen Färbemethoden kreiert wurden.
Woran arbeitest Du aktuell? Gibt es etwas Besonderes, neue Herausforderungen, die erforscht werden müssen?
Das letzte Jahr war für mich sehr herausfordernd. Während der Arbeiten zur Realisierung der digitalen Plattform wurde deutlich, dass dies ein viel größeres Projekt ist, wofür wir immernoch nach Finanzmitteln suchen. Ich wurde für einen Gastvortrag eingeladen, um mit Studenten eine „Ökologische Debatte in der Mode durch das Prisma der Farbe“ zu führen. Eine äußerst bereichernde Erfahrung, die zu meiner Entscheidung geführt hat, auf diesem Gebiet zu promovieren. Momentan besteht die größte Herausforderung für mich darin, mir vor Augen zu halten, warum ich dieses Projekt gestartet habe und dementsprechend weiterzuentwickeln.
Wie stehst Du zu Farbe in der Mode?
Ich betrachte Farbe als Werkzeug, um ein ästhetisches Erlebnis zu schaffen. Deshalb ermutige ich jeden Designer, der in der einzigartigen Position ist, neue Objekte zu kreieren, sich nicht nur mit der Herkunft von Textilien zu beschäftigen, sondern auch damit, woher die Farbe stammt und wie sie hergestellt wurde. Es ist nicht immer einfach, diese Informationen zu finden. Doch kann man auf diese Weise tiefer über die Komplexität der Modebranche und die Bedeutung nachdenken, woher die von uns verwendeten Ressourcen stammen. Dies sind die Fragen, die sich jeder von uns stellen sollte und muss, wenn wir nachhaltigere Produkte herstellen und ein nachhaltiges Leben auf diesem Planeten sichern wollen.
Was würdest Du Marken raten, die von synthetischen auf natürlichen Färbeverfahren umstellen möchten?
Am besten beginnt man mit einem Gespräch mit den eigenen Textillieferanten. Denn am Ende steht das Ziel, das gängige Modesystem zu revolutionieren. Wermit einem Textillieferanten zusammenarbeitet, sollte die Fragen nach Farben aus natürlichen Zutaten direkt adressieren und um die Aufnahme in sein Portfolio bitten. Sollte der Lieferant dies noch nicht anbieten, wird er zumindest einen neuen Bedarf auf diesem Gebiet entdecken. Ein Beispiel: die DNA meiner Marke besteht darin, Abfall zu reduzieren und zirkulärer zu werden. Dann ist es naheliegend, nach Stoffen zu suchen, die mit der Resteverwertung aus der Lebensmittelindustrie gefärbt wurden. Alternativ kann man über den Prozess in Eigenherstellung nachdenken. Wichtig hierbei ist, dass Designer bei der Arbeit mit alternativen Farben eine gewisse Unvorhersehbarkeit bei den Ergebnissen des alternativen Färbeprozesses einkalkulieren müssen. Gerade im Hinblick auf die Gestaltung können natürliche Farben mit der Zeit allmählich verblassen. Außerdem ist die Lokalität ein sehr wichtiger nachhaltiger Wert. Was bedeutet dies im Zusammenhang mit dem Färben? Suchen Sie nach lokalen Färbern in Ihrem Land und beginnen Sie eine langfristige Zusammenarbeit mit lokalen Studios, die Ihre Materialien beispielsweise mit Indigo, Krapp oder Kurkuma färben.
Mit wem würdest Du gerne zusammenarbeiten und warum?
Oh, es wäre wunderbar, wenn der Atlas of Sustainable Colours in jeder Designschule sowohl als Referenz als auch als Inspiration angeboten werden würde. Außerdem wäre es fantastisch, mit Natsay Audrey Chieza zusammenzuarbeiten, einer der Pioniere im Bereich des Biofärbens und einer sehr inspirierenden Frau, die auf dem Gebiet der Biotechnologie und Designs arbeitet.
Wir danken Julia Kaleta für ihre Erkenntnisse und Einblicke in ihre Arbeit im Rahmen der Key Conversations Reihe mit Simon Angel, Kurator der Sustainable Innovations der MUNICH FABRIC START. Wenn Sie an einer Zusammenarbeit mit Julia interessiert sind, kontaktieren Sie sie gerne direkt via: https://juliakaleta.com/contact
Lassen Sie uns im Austausch bleiben! Hat dieses Thema eine Idee ausgelöst oder haben Sie Fragen? Wir würden uns freuen, von Ihnen zu hören. Senden Sie uns eine E-Mail an info@munichfabricstart.com
Willkommen zu Key Conversations: unser digitales Sustainable Innovations Forum
Als Kurator des Sustainable Innovations Forum ist Simon Angel immer am Puls der Zeit und ist der Erste, der von den neuesten Materialentwicklungen und aufkommenden Designkonzepten erfährt. So ist es nicht verwunderlich, dass er aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung ein Experte darin ist, Beziehungen zu pflegen und Gespräche zu führen, um den Fortschritt in der Welt der nachhaltigen Innovationen zu stärken.
Überzeugen Sie sich von Simon’s Expertise – Sie finden die Beschreibungen der im Sustainable Innovations Forum ausgestellten Entwicklungen der vergangenen Saisons hier auf unserem Blog.
„Ich habe das Sustainable Innovations Forum immer als ein Podium gesehen. Das Forum ist ein Ort, an dem wir Gespräche führen, Ideen diskutieren und Informationen austauschen können. Es ist zu einem Ort der Verbindung und Zusammenarbeit geworden. In Zeiten, in denen Designer und nachhaltige Innovatoren isoliert sind und wir uns nicht mehr wie früher treffen können, ist es wichtig, dass wir diese Verbindung nicht verlieren“
Simon Angel, Curator of the Sustainable Innovations Forum
Auch wenn Designer das Gefühl haben, nicht mehr miteinander verbunden zu sein, weil sie alleine in ihren Studios arbeiten, gibt es immer noch so viele spannende Fortschritte, die gemacht werden. Indem er Designer zum Gespräch einlädt, hofft Simon, dieses Paradoxon aufzulösen und wieder eine Plattform für die Zusammenarbeit zu schaffen und einen offenen Austausch von einzigartigen Einsichten und Erfahrungen zu ermöglichen.
Gemeinsam mit Simon haben wir eine neue Videoreihe initiiert, die „Key Conversations“. Diese erweiterte Plattform des Sustainable Innovations Forums verfolgt das Ziel, Designern und Innovatoren die Möglichkeit zu geben, Ideen anzuregen und auszutauschen. Let’s keep in the conversation going…
Was sind Key Conversations?
Simon wird sich mit Designern und Innovatoren aus seinem Netzwerk sowie mit ehemaligen und aktuellen Mitgliedern der Sustainable Innovations Community per Video unterhalten. Wir können uns auf die gleiche lebendige und freundliche Interaktion freuen, mit der Simon auch jede Saison im Sustainable Innovations Forum im KEYHOUSE der MUNICH FABRIC START zum Kern der Projekte gelangt.
Was ist das Ziel dieser Unterhaltungen?
Unser Ziel ist es, greifbare Einblicke zu bieten, die zu realen Anwendungen und Kooperationen führen können, indem wir diese Gespräche mit unserer Online-Community teilen. Kollaboration durch Konversation ist der Schlüssel. Durch einzigartige Einblicke und den offenen Dialog besteht die Möglichkeit, sich zu verbinden und neue Chancen für Designer und Marken zu erschaffen. Wir hoffen, dass sich die Leser dieses Blogs und die Zuschauer, die sich unsere Videos ansehen, mit den Projekten auf einer tieferen Ebene verbinden können und inspiriert werden, mehr über die Designer auf deren Profile und Website erfahren zu wollen.
Daher laden wir auch jeden aktiv dazu ein, sich an der Konversation zu beteiligen: Senden Sie gerne jederzeit eine direkte Mail an Simon oder an die Designer selbst.
Von welchen Innovationen werden wir hören?
Wir sind sehr daran interessiert, unsere Community mit einem Update von unseren bisherigen Teilnehmern des Sustainable Innovations Forum zu versorgen. Insbesondere werden wir von den Fortschritten und dem Wachstum ihrer Konzepte hören, seit sie bei uns im KEYHOUSE ausgestellt haben. Darüber hinaus wird Simon mit Innovatoren aus den Bereichen der Entwicklung organischer Materialien, natürlicher Färbelösungen und der Nutzung natürlicher Ressourcen in der Technologie sprechen, neben vielen weiteren einzigartigen und vielfältigen Kategorien.
Was nun?
Neue Videos und Interviews werden auf unseren Social Media Kanälen und im Munique Blog veröffentlicht. In Kürze werden wir hier neue Artikel in einer übersichtlichen Sammlung vorstellen… Stay tuned!
Lassen Sie uns das Gespräch weiterführen! Hat dieses Projekt eine Idee ausgelöst oder haben Sie Fragen? Wir würden uns freuen, von Ihnen zu hören. Senden Sie uns eine E-Mail an info@munichfabricstart.com
Ein Rückblick auf 2020
Es ist in aller Munde: 2020 möchten wir so schnell wie möglich hinter uns lassen und ins neue Jahr – in die Zukunft – starten. Hoffnungsvoll blicken wir auf 2021. Ein Jahr, in dem „Back to reality“ den größten und einheitlichen Wunsch darstellt. In dem Jahr, in dem wir mit radikalen Veränderungen konfrontiert wurden, habe ich zahlreiche Stimmen aus der Branche eingefangen – online, versteht sich. Die gesammelten Antworten kann ich dabei allgemein in drei Kategorien unterteilen:
Diejenigen, die Veränderungen „ertragen“ haben.
Diejenigen, die Veränderungen „herausgefordert“ haben.
Diejenigen, die Veränderungen „ignoriert“ haben.
Ich denke, sinnbildlich ist es das, was Designer und Entwickler jeden Tag tun. Es ist Teil ihrer täglichen Herausforderungen: ertragen, herausfordern und ignorieren. Aus dieser Perspektive ist die Mehrheit der Gesellschaft nun mit denselben Vorgehensweisen vertraut, mit denen Designer in ihren Studios seit jeher gearbeitet haben.
Wenn ich auf mein breites Netzwerk aus Designern und Studenten blicke, freut es mich besonders, dass die Arbeit, Entwicklungen, Design auch in dem unvergleichlich herausfordernden Jahr 2020 fortgesetzt wurde. Vermutlich werden Sie überrascht sein zu hören, dass viele sogar von den pandemie-bedingten Veränderungen profitiert haben: In die Entwicklung der nachhaltigen Modebranche involvierte Designer wurden gefeiert. Zurückhaltende Innovatoren wurden wahrgenommen und Menschen, die sich der Schwachstellen in der Mode- und Textilindustrie bisher nicht bewusst waren oder bewusst sein wollten, konnten die Risse im System nicht länger ignorieren. 2020 zeigte Schwachpunkte auf und erweiterte das Bewusstsein.
Eine positive Auswirkung der Pandemie: Der Fokus auf Nachhaltigkeit und die Dringlichkeit, Nachhaltigkeit ganzheitlich in unserer Branche zu integrieren war noch nie so klar und hat das System als Ganzes noch nie so deutlich gezeigt: JETZT zählt. In meinen früheren Artikel auf dem Munique-Blog habe ich drauf hingewiesen, dass es in der Natur eines Designers liegt, über ihren eigenen Einfluss im großen Ganzen nachzudenken. Weitere meiner Artikel zur Reihe „Sustainable Innovations“.
Nun sind die Designer jedoch nicht mehr die erschöpften Boten, die das Gefühl haben, alleine gegen die gesamte Konsumgesellschaft ankämpfen zu müssen. Stattdessen tut sich die gesamte Branche zusammen: Mills, Dyers, Produktionen, Regierungen und Verbraucher im Zusammenschluss, um die größeren Probleme im System zu lösen. Durch die Dringlichkeit entsteht die große Chance, stärker zusammenzuarbeiten.
Dies bedeutet, dass es unseren Designern freisteht, neue Positionen einzunehmen und Innovationen zu pushen, ohne die Branche zu frustrieren. Designer sind einmal mehr Re-Thinker und vor allem wertvolle Teammitglieder im „Kampf für eine nachhaltige Zukunft“. Dies stimmt mich hoffnungsvoll. Aktuell sind wir immer noch in der Phase, uns auf das vorhandene, etablierte System, die Wirtschaft und die Verhaltensweise zu stützen… ABER ich bin mir sicher, dass der Wandel noch stärker und umfassender stattfinden wird als je zuvor.
Die Herausforderung besteht vorerst darin, den Fokus auf Auswirkungen, Nutzen und Umfang zu legen – seit den MUNICH FABRIC START im Januar 2019 Mittelpunkt unseres Forums für Sustainable Innovations.
Auswirkung: Eine Vorstellung davon zu haben, was man tut, warum man handelt und wie sich dies positiv auf die Gesellschaft und unseren Planeten auswirkt.
Nutzen: Die Auswirkungen einer bestimmten Handlung auf den Mehrwert für das System, Andere und die Gesamtheit.
Umfang: Simpel denken und aus dem Nutzen heraus agieren, nicht aus Gier.
Das tatsächliche Risiko in Zeiten von Corona besteht also darin, die Wahl zwischen Polarisierung ODER Zusammenarbeit zu stellen. Man ist entweder „dafür“ oder „dagegen“. Man ist „in“ oder „out“. Nuancen, Unterschiede und Herausforderungen. In der Textilindustrie gibt es nur einen Weg: die Unterschiede zu überbrücken, Wissen zu sammeln und unsere authentischen Stärken zu schätzen. Das erinnert mich an den Song „Reach Out and Touch“.
Die Textilindustrie kann als Vorreiter in Sachen Mode als Entwurf für eine sich verändernde Gesellschaft und Geschäftspraktiken dienen. Die „gute“ Praxis. In Verbindung mit der Tatsache, dass es keine engere Beziehung zur menschlichen Haut als Textilien gibt.
ÜBER DEN AUTOR
„Ich möchte durch meine Arbeit als Kurator des Sustainable Innovations Forum bei Munich Fabric Start und mit jedem meiner Beiträge zum Munique Blog inspirierende Themen und nachhaltige Projekte ins Rampenlicht rücken. Bleiben Sie gespannt – bald finden Sie hier mehr spannende Neuigkeiten unter @simonangelmfs.“
Simon Angel | sa@simonangel.nl
From Trash to Treasure von Youyang Song
Der Niederländer Simon Angel hat eine begabte Designerin ausfindig gemacht, deren Innovation es möglich macht, Textilien aus recyceltem Biokunststoff zu kreieren. Diese und drei weitere Entwicklungen präsentierte der Kuator der SUSTAINABLE INNOVATIONS während der FABRIC DAYS.
„Wir bewegen uns immer mehr hin zu einer Ära der flexiblen Organisationsform. Um das mal in die Welt der Materialien und Textilien zu übersetzen: Die Beschaffenheit von Materialien und der Komfort werden ein Comeback erleben“, erklärt Simon Angle in unserem kürzlichen Interview mit ihm.
Ein Beispiel dafür stellen wir Ihnen hier im Rahmen der SUSTAINABLE INNOVATIONS vor:
FROM TRASH TO TREASURE VON YOUYANG SONG
Wie können innovative Produkte entstehen, ohne dass neue Ressourcen verbraucht werden müssen? Wie kann das Wachsen der Müllberge aufgehalten werden? Altes nutzen, Neues kreieren: Die Designerin und Materialforscherin Youyang Song hat es sich zum Ziel gemacht, dabei zu helfen, ein Ökosystem zu entwickeln, das aus rein biologisch-abbaubaren Materialien besteht. Handtaschen aus Bananenschalen, Lampenschirme aus Sojamilch – die Designerin verarbeitet Bioabfall zu neuen Wertstoffen. So entstehen Produkte, die am Ende des Produktlebenszyklus wieder dem natürlichen Kreislauf zurückgegeben werden können.
„Unser Ziel ist es, eine Kreislaufwirtschaft rund um das Material zu erschaffen und mit unseren Produkten eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.“
Youyang Song
Song hat die Technik “Cooking new materials” entwickelt, bei der Obstschalen oder Sojamilch mit einem natürlichen Bindemittel gemischt werden. „APeel“ nennt sich das weiche, innovative Material, das durch diesen Prozess entsteht. Das Naturprodukt ist außerdem wasserundurchlässig und robust wie echtes Leder, riecht fruchtig, hat eine natürliche Textur und ist komplett biologisch abbaubar. Mit Stil die Umwelt schützen: Mit ihrem Projekt möchte Song zeigen, dass umweltfreundliche Produkte nicht nur praktisch, sondern auch ästhetisch und stillvoll sein können.
Perfect Imperfection von Studio Mend
Die FABRIC DAYS präsentierten wegweisende Innovationen internationaler Hersteller. Sustainable Innovations Kurator Simon Angel stellte außerdem innovative Entwicklungen junger Designer im Rahmen des SUSTAINABLE INNOVATIONS Forum vor.
„Manchmal muss man sich gar nichts Neues einfallen lassen, um Innovationen zu erschaffen – alte Traditionen zu überdenken und ihnen eine zeitgemäße Note zu verpassen kann auch innovativ sein“, so Simon Angle in unserem kürzlichen Interview mit ihm.
Ein Beispiel dafür stellen wir Ihnen hier im Rahmen der SUSTAINABLE INNOVATIONS vor:
PERFECT IMPERFECTION VON STUDIO MEND
Die neue Jeans gibt es für 29,99€, das T-Shirt für 7,99€. Ständig wechselnde Trends, synthetische Stoffe und minderwertige Qualität: Seit Fast Fashion in den 1960er Jahren die Welt eroberte, kommt man immer und überall an neue Kleidung. Was kaputt ist, wird weggeschmissen und was nicht mehr in Mode ist, liegt ungenutzt im Schrank. Mehr als zwei Millionen Tonnen Textilmüll im Jahr fallen alleine in der Europäischen Union an. Wann hat sich unser Verhältnis zu Kleidung so verändert? Diese Frage stellte sich die junge Modedesignerin Sunniva Amber Flesland. 2019 gründete sie Studio Mend, um den emotionalen und materiellen Wert von dem, was wir tragen, wieder zu erhöhen.
„Ich bin begeistert von rohen Materialien, altem Handwerk, Traditionen und Schönheit – und ich bin auf der Suche nach Potenzialen, die nicht leicht zu finden sind.“
Sunniva Amber Flesland
Wertschätzen, reparieren, veredeln: Gebrauchspuren aus dem Leben der Kleidungsstücke werden im Studio Mend auf ganz besondere Weise ausgebessert. Island Weave, Edge Mend, Pinstripe Patch, Crossover Stitch: Zwischen diesen vier sorgfältig entwickelten Technikstilen kann der Kunde wählen, um sein beschädigtes Lieblingsstück wieder ganz zu machen. In Kombination mit individuellen Farbdesigns entstehen qualitative Unikate. Die Akzeptanz von Vergänglichkeit und Unvollkommenheit – das ist das Grundprinzip der japanischen Philosophie Wabi Sabi, die Flesland als Inpiration diente. Statt Fehler zu verstecken, werden sie als Zeichen eines ereignisreichen Lebens gefeiert. Sichtbar und raffiniert erschafft die Künstlerin wertvolle, ästhetische Einzelstücke als Statement für eine bessere Modewelt.
Solar Self von Pauline van Dongen
SUSTAINABLE INNOVATIONS Autumn.Winter 21/22 #2
Simon Angel ist jede Saison aufs Neue auf der Suche nach den vier zukunftsweisensten SUSTAINABLE INNOVATIONS.
Vier nachhaltige Entwicklungen wurden auf den FABRIC DAYS präsentiert – darunter diese textile Innovation, die Technologie und Fashion auf einzigartige Weise verbindet:
SOLAR SELF von PAULINE VAN DONGEN
Ein Kleid mit dem man das Smartphone aufladen kann? Was nach Utopie klingt, ist bereits greifbare Wirklichkeit. Für ihr Projekt „Zonnestof“ („Sonnenstaub“) haben Pauline Van Dongen und Maaike Gottschal ein gewebtes Textil mit dünnen, flexiblen Solarzellen entwickelt und damit neue ästhetische Qualitäten und Materialeigenschaften geschaffen. Ein Spiel aus Farbe, Textur und Transparenz: Durch die Kombination der Solarzellen mit verschiedenen Garnen und die Variation unterschiedlicher Webmuster und -techniken kann eine breite Palette von Textilien hergestellt werden.
„Der kreative Prozess lädt Menschen ein, sich zu beteiligen, ihre Träume und Wünsche zu erkunden und zu zeigen, welche Rolle Sonnenenergie in ihrem täglichen Leben spielen kann. Alle Teilnehmer werden durch ihren Beitrag Eigentümer des Projekts und sind somit Teil einer größeren Bewegung.“
Pauline van Dongen
Doch den niederländischen Modedesignerinnen und Forscherinnen geht es nicht nur um die Einbettung von Technologie in Mode. Die Initiatorinnen des Projektes interessieren sich viel mehr dafür, welche soziale Erfahrung das Arbeiten mit Solar-Stoffen und das Tragen von Technologie am Körper bedeuten. Das Projekt lädt die Teilnehmer in Workshops dazu ein, ihr eigenes Stück „Solar Design“ zu erschaffen und eine nachhaltige Zukunft zu weben. Anstatt Natur und Technologie als Widerspruch zu sehen, möchten Van Dongen und Gottschal Technologie zu etwas Selbstverständlichem machen. Und nicht nur Mode kann durch den Solarstoff einen nie dagewesenen Mehrwert erhalten: Das Textil kann auch in der Architektur oder Innenausstattung, für neue Transportkonzepte und im öffentlichen Raum sowie bei Veranstaltungen und Festivals eingesetzt werden.