Wie Mut, Neugier und Handwerkskunst die Zukunft der Mode neu gestalten können

Interview mit Simon Angel

17. Januar 2025

Mit „FLORECSENCE“ als Leitprinzip von MUNICH FABRIC START und TECHKNOWLEDGE für das KEYHOUSE hebt Simon Angel, Kurator für nachhaltige Innovationen, hervor, wie die von ihm ausgewählten Projekte das „Was kommt als Nächstes?“ in der Mode neu definieren können, indem sie uns herausfordern, über schnelle Lösungen hinauszudenken und stattdessen einen tieferen, ganzheitlicheren Ansatz für Nachhaltigkeit zu verfolgen.

Simon, wie bist du an die Kuratierung der diesjährigen Sustainable Innovations-Ausstellung bei Munich Fabric Start herangegangen?

Simon Angel: Nun, ich wollte, dass die in der Sustainable Innovations-Ausstellung gezeigten Projekte einen bedeutenden Wandel in der Textilindustrie signalisieren. Die Projekte, die ich in dieser Saison ausgewählt habe, fordern uns heraus, alles zu überdenken – von Rohmaterialien über Endprodukte bis hin zu Produktionsprozessen. Dabei wird Nachhaltigkeit als ein fortlaufender Dialog betont, der eine breitere Diskussion über die Zukunft unserer Branche anstößt und die Textilgemeinschaft dazu auffordert, verantwortungsbewusstere und kreativere Ansätze zu verfolgen.

Könntest du etwas mehr dazu sagen, wie sich die Philosophie des Jahres in den ausgestellten Projekten manifestiert?

Simon Angel: Sehr gerne! Die Philosophie dieses Jahres ist tief in jedem Projekt verankert, das ich für die Ausstellung ausgewählt habe. Besonders betont wird die Integration nachhaltiger Praktiken, die nahtlos mit innovativem Design verbunden sind. Nehmen wir zum Beispiel „PSYCHEDELIC TEXTILES“ von Shushanik Droshakiryan. Ihre Arbeit geht über die Grenzen hinaus, indem sie Techniken aus der Mikrobiologie und Chemie nutzt. Sie dient als kraftvoller Aufruf an die Industrie, die Art und Weise zu überdenken, wie Materialien beschafft, bewertet und letztlich wieder in die Umwelt zurückgeführt werden. Indem sie den Lebenszyklus von Materialien, insbesondere die End-of-Life-Phase, in den Fokus rückt, unterstreicht sie die Notwendigkeit, innerhalb eines zirkulären Wirtschaftsansatzes zu entwerfen und eine Zukunft zu visionieren, in der Umweltschutz und Modeinnovation nahtlos miteinander verbunden sind.

Milou – photo credit Lieke Bielderman

Die Projekte von Studio Nicky Vollebregt: „Pollia,“ „HIGHLIGHT“ und „Uncover“ – Wie passen sie in dieses Narrative?

Simon Angel: Die Projekte von Studio Nicky Vollebregt’s demonstrieren einen ganzheitlichen Ansatz zur Textilinnovation, indem sie sich mit Farbreflexion, Materialtransparenz und transformierenden Veredelungstechniken beschäftigen. Das Studio stellt nicht einfach visuell beeindruckende Stoffe her; es hinterfragt unsere Konzepte von Licht, Farbe und Textur und untersucht, wie kleine Eingriffe im Materialschöpfungsprozess weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt und die Nutzbarkeit haben können. Es erinnert uns daran, dass Nachhaltigkeit und ästhetische Anziehungskraft keineswegs Gegensätze sind.

Könntest du erläutern, wie Daan Sonnemans’ und Anabel Poh’s „Kantamanto Social Club“ die Themen dieser Ausstellung verstärkt?

Simon Angel: Daan Sonnemans und Anabel Poh greifen einen kritischen Aspekt der Nachhaltigkeit auf: die menschliche und soziale Dimension. Mit „Kantamanto Social Club“ konzentrieren sie sich auf die Einbindung der Gemeinschaft und ethische Arbeitspraktiken, indem sie kulturelles Erbe mit umweltbewusster Produktion vereinen. Ich finde, dass dieses Projekt über Materialinnovation hinausgeht, weil es uns daran erinnert, dass Nachhaltigkeit nicht nur neue Materialien oder Recycling bedeutet; ihr Kern betrifft die Menschen und Gemeinschaften hinter den Produkten. In gewisser Weise könnte man dieses Projekt als eine nachhaltige Prozess-Intervention bezeichnen.

Könntest du uns mehr über Milou Voorwinden’s „Explorations in 3D weaving“ erzählen?

Simon Angel: Milous Arbeit ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie das Überdenken einer grundlegenden Technik völlig neue Möglichkeiten eröffnen kann. In „Explorations in 3D weaving“ betrachtet sie den Webstuhl nicht nur als Werkzeug für flache Textilien, sondern als Plattform für skulpturale, strukturierte Formen. Durch die Kombination verschiedener Fasern und das Experimentieren mit Dichte schafft sie Stoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften – einige starr, andere flexibel. Diese Erkundungen stellen das binäre Denken von „Stoff vs. Struktur“ infrage und zeigen, wie Textilien auf eine Weise entwickelt werden können, die Materialabfälle minimiert und gleichzeitig das Designpotenzial erweitert. Ihr Designprinzip bringt eine Veränderung im Design-Muster-Produktionszyklus.

Shushanik

Oscar

Nicky – Pollia
credit Patty van den Elshout i.o.v. TextielMuseum

„Wool matters“ von Beatriz Isca ist ein weiteres Projekt, das Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wie passt es in das Thema dieser Saison?

Simon Angel: Beatriz’s “Wool matters” -Projekt unterstreicht den Wert eines Rohmaterials, das wir oft als selbstverständlich erachten. Indem sie die Prozesse der Beschaffung, Reinigung und Umwandlung von Wolle in den Mittelpunkt stellt, zeigt sie, wie etwas so Althergebrachtes wie Wolle für moderne, umweltbewusste Lebensstile neu interpretiert werden kann. Sie stellt nicht nur die Vielseitigkeit der Wolle vor, sondern enthüllt auch die Geschichten, das Erbe und die Gemeinschaften hinter der Faser. Ich hoffe, dass ihre Perspektive uns dazu ermutigt, den gesamten Lebenszyklus unserer Materialien – und die Menschen, die daran beteiligt sind – zu berücksichtigen, bevor wir überhaupt mit dem Design beginnen.

Schließlich sticht Oscar Wentz’ AFTERLIFE „REWORK AND RETHINK YOUR OWN TRASH“-Projekt hervor. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Simon Angel: Oscars AFTERLIFE-Projekt ist eine mutige Aussage zu Abfall und Konsumkultur. Durch das Upcycling von weggeworfenen Kleidungsstücken und Materialien schafft er Streetstyle-Garments, die zeigen, wie eine einfache Änderung der Perspektive eine größere Diskussion über Verantwortung und Ressourcennutzung anstoßen kann. Es ist das perfekte Beispiel dafür, wie ein praktischer, interventionistischer Ansatz Menschen dazu anregen kann, zirkuläre Praktiken stärker zu übernehmen.

Beatriz – Wool matters

Wie siehst du die Auswirkungen dieser Innovationen in der Ausstellung auf die Zukunft der Textilindustrie?

Simon Angel: Diese Projekte stellen kollektiv einen bedeutenden Wandel dar, der uns dazu anregt, zu hinterfragen, was möglich ist, und Nachhaltigkeit als einen fortlaufenden Dialog zu betrachten, anstatt als ein finales Häkchen auf einer Liste. Jedes Projekt in der Ausstellung „Sustainable Innovations“ fordert bestehende Paradigmen heraus und bringt uns näher an eine Welt, in der Textilien mit Blick sowohl auf die Menschen als auch auf den Planeten erschaffen werden.

Danke, Simon, für diese Einblicke. Es ist klar, dass die Sustainable Innovation-Ausstellung dieser Saison mehr ist als nur eine Präsentation neuer Materialien – es geht darum, eine breitere Diskussion über die Zukunft unserer Branche anzustoßen.

Simon Angel: Es war mir ein Vergnügen. Ich freue mich darauf, dass jeder diese Projekte erlebt und Teil der Diskussion wird. Ich glaube, dass wir durch kollektive Neugier und Experimentierfreudigkeit echte, dauerhafte nachhaltige Innovationen vorantreiben können.

Wir freuen uns darauf, die Ausstellung zu sehen und zu erleben, wie diese bahnbrechenden Ideen die Zukunft des Textildesigns prägen werden.

Simon Angel: Vielen Dank. Vergesst nicht, uns im Keyhouse in Halle 7 zu besuchen – wir können es kaum erwarten, euch zu zeigen, wie diese Interventionen die Zukunft der Mode und Textilien neu schreiben.


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