Wenn man Chandra Prakash zum ersten Mal trifft und ihn fragt: „Was machen Sie?“, antwortet er ziemlich sicher „Nachhaltigkeitsberater“. Nach einem kurzen Gespräch mit ihm wird einem aber schon ganz klar, dass noch viel mehr dahintersteckt. Wenn er von seiner Erfahrung als Bio-Landwirt zur Erforschung und Entwicklung nachhaltiger landwirtschaftlicher Methoden, von der Herstellung von Naturfasern an der indisch-nepalischen Grenze oder von dem Zertifizierungsprozess von Naturfasern mittels Blockchain-Technologie erzählt, steht fest, dass „Nachhaltigkeitsberater“ nicht ganz den vollen Umfang, die Reichweite und die Weitläufigkeit seiner Arbeit auf den Punkt bringt. Daher versuchen wir mit diesem Interview tiefe Einblicke in seine neuesten Projekte, spannenden Herausforderungen und seine Leidenschaft für echte Nachhaltigkeit zu erhalten.
Kannst Du uns etwas über Deine Arbeit als Nachhaltigkeits-Fashionexperte erzählen?
Ich beschäftige mich intensiv mit nachhaltiger Mode und habe aus vielen Perspektiven wahnsinnig wertvolle Einblicke in die Lieferkette gewonnen; als Bio-Bauer, Textildesigner, Modedesigner und als Unternehmer, der als Inhaber und Gründer von Cocccon auf die Herstellung von gewaltfreier Seidenmode spezialisiert ist. Die Erstellung und Kenntnis von kurz- und langfristigen Nachhaltigkeits-Roadmaps sind meine Stärke als Nachhaltigkeitsberater.
Du forschst derzeit an anderen nachhaltigen Fasern und Produktionsmethoden – worauf fokussierst Du dich momentan genau?
Meine Forschung beschäftigt sich mit Naturfasern, insbesondere wie sie mit möglichst wenig Wasser und ohne Chemie angebaut werden können. Mein aktuelles Projekt zielt darauf ab, die nachhaltigste und luxuriöseste Leinen-, Kenaf- und Sisalfaserproduktion an der indisch-nepalischen Grenze aufzubauen.
Im Zuge der Videoserie Key Conversations hast Du mit Simon Angel gesprochen und Deine neueste Technologie zur Unterstützung des Zertifizierungsprozesses für Stoffe vorgestellt. Kannst Du uns mehr erzählen?
Die Herausforderungen, denen sich Zertifizierungsstellen gegenübersehen, wurden durch COVID-19 weiter verkompliziert. Die meisten Baumwollfelder liegen auf abgelegenem oder ländlichem Gelände, was bedeutet, dass es nicht möglich ist, das gesamte Land zu überwachen oder zu kontrollieren. Die Datenerhebung und -eingabe erfolgt weiterhin auf Vertrauensbasis, ohne Methoden zur gegenseitigen Überprüfung. Im derzeitigen System ist es nicht möglich, die Materialien in den Vorfaserstufen zu authentifizieren, wie z. B. die landwirtschaftlichen Prozesse zum Anbau von Fasern wie Baumwolle, Leinen usw. Der Mangel an physischen Besuchen aufgrund von COVID-19 hat zu einem Anstieg von Greenwashing geführt.
Die Technologie, die ich derzeit entwickle, kann sicherstellen, dass Auditing einfach, sicher und viel zuverlässiger wird. Auch in der Landwirtschaft können Daten erhoben werden. Um die Authentifizierung zu gewährleisten, wird die Überwachung in drei verschiedenen Phasen durchgeführt. Zusammen wird der Einsatz von KI-Technologie, Blockchain-Technologie und einem intelligenten physischen Auditing-System den Zertifizierungsprozess eines Bio-Produkts sicher machen.
Sehen Sie sich hier die Key Conversation zwischen Chandra Prakash und Simon Angel an.
Kannst Du uns von der größten Herausforderung bei der Entwicklung dieses neuen digitalen Systems erzählen?
Dies ist ein sehr ehrgeiziges Projekt. Die Rückverfolgbarkeit auf der Rohstoffstufe ist momentan so gut wie unmöglich. Ich nehme es als Herausforderung und versuche alles, es zu realisieren. Es ist immer eine Challenge, verschiedene Arten und Ebenen von Technologie zu verbinden. Sagen wir einfach, wir arbeiten daran! Wir werden mit Partnern aus der Modebranche zusammenarbeiten müssen, darunter Rohstoff- und Blockchain-Experten sowie wichtige Investoren. Zur Verstärkung suchen wir aktuell einen CFO.
Wie wichtig ist es für Marken, ihren Kunden Transparenz und Rückverfolgbarkeit zu bieten – durch die Einführung der Blockchain-Technologie?
Die Zahl der Menschen, die bereit sind, authentisch nachhaltige Mode oder Accessoires zu kaufen, ist drastisch gestiegen. Die jungen Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder, die weltweit bei Fridays for Future und Klimastreiks protestieren, sind unsere zukünftigen Kunden. Sie wollen wissen, wer die Kleidung herstellt, die sie tragen. Sie wollen wissen, ob alle in der Lieferkette gut behandelt wurden. Sie wollen wissen, ob ihr Bio-T-Shirt wirklich ein Bio-T-Shirt ist. Rückverfolgbarkeit wird bald die neue Normalität sein. Unsere KI- und maschinelle Lerntechnologie kann jedem helfen, von Marken bis hin zu Endverbrauchern. Die Verwendung von Blockchain kann sicherstellen, dass Zertifizierungen zuverlässig und authentisch sind.
Deutschland hat ein neues Lieferkettengesetz mit verstärktem Fokus auf Menschenrechte eingeführt. Kann Deine Technologie helfen, Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden?
Die aktuellen Gesetze haben nur begrenzte Möglichkeiten, soziale oder menschliche Faktoren während der Produktion von Rohstoffen zu kontrollieren. Es gibt außerdem Challenges bei der Kontrolle von Zwangs- oder Kinderarbeitern beim Baumwoll- und Flachs-Leinen-Anbau. 80% der Baumwollbauern, die in Entwicklungsländern arbeiten, stammen aus lokalen Stammesgemeinschaften und haben keine staatlich anerkannten Ausweise. Auf dem Papier existieren sie nicht, daher werden die Gesetze nicht auf sie angewendet. Unsere IoT-basierte Technologie kann Landwirten und Marken helfen, diese Herausforderungen zu überwinden. Dies macht unsere Technologie zu einer Plattform für Echtzeit-Rückverfolgbarkeit vom Bauern bis zum fertigen Kleidungsstück in den Läden.
Wir bedanken uns bei Chandra für seine Einblicke und das Gespräch im Rahmen der Key Conversation Reihe mit dem Kurator unserer Sustainable Innovations, Simon Angel. Wenn Sie sich für die Themen interessieren, die Chandra Prakash hier besprochen hat, oder wenn Sie herausfinden möchten, wie Sie seine Arbeit unterstützen können, können Sie ihn hier gerne kontaktieren: prakash@cocccon.de
Lassen Sie uns im Gespräch bleiben! Hat dieses Projekt Sie auf eine Idee gebracht oder haben Sie Fragen? Wir würden gerne von Ihnen hören, schicken Sie uns eine E-Mail an info@munichfabricstart.com